Plattformkooperative als notwendige Alternative

In einer Woche ist es so weit: Die Plattformkooperative Autonomía wird von Reinigungsarbeiterinnen aus Zürich gegründet! Was der Unterschied einer Plattformkooperative zu herkömmlichen Plattformunternehmen wie Helpling und Co. ist und was die Reinigungsarbeiterinnen motiviert, ihre eigene Kooperative zu gründen, erfahren Sie in diesem Newsletter.

 Die harte Realität in der Reinigung

Reinigungskräfte, die in Privathaushalten tätig sind, gehören zu den am schlechtesten bezahlten Arbeitnehmenden. Der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn von 19.20 Fr. wird laut SECO häufig noch unterschritten. Viele Reinigungs:arbeiterinnen haben kein oder nur ein geringes Arbeitspensum garantiert und arbeiten häufig auf Abruf. Dazu kommen ungünstige Einsatzzeiten und weite Arbeitswege, die nicht vergütet werden. Ein grosses Problem ist die oft mangelhafte oder sogar fehlende Absicherung bei der Unfall- und Sozialversicherung. Die Folgen davon sind ein hohes Armutsrisiko. Wie hoch dieses Risiko ist, hat die Corona-Krise verdeutlicht. Wenn Reinigungsarbeiter:innen bei Privatpersonen angestellt sind, haben sie keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung und solange ihnen nicht gekündigt wird, haben sie kein Anrecht auf Arbeitslosengeld. Dies hat zahlreiche Reinigungskräfte während der Pandemie in finanzielle Nöte gebracht.

Mehr Druck und weniger Freiheiten aufgrund der Digitalisierung

In ihrer Doktorarbeit untersucht Keller  die Produktion von Ungleichheiten, die durch die digitale Transformation entstehen und fokussiert dabei unter anderem auf Plattformen in der Reinigungsbranche. Plattformunternehmen nehmen nicht nur im Bereich von Taxi- und Lieferdiensten zu, sondern immer stärker im Bereich der Hausarbeit, nur sind sie hier weniger sichtbar.

«Eins der grössten Probleme der Plattformunternehmen ist der Profit, den die Firmen machen, währenddessen die Reiniungsarbeiterinnen für knapp 20 Franken die Stunde kaum über die Runden kommen.» Weiter kritisiert die Geografin den Freiheitsverlust: «Die Flexibilisierung, die durch die Plattformökonomie verstärkt wurde, hat den Arbeiter:innen nicht wie versprochen mehr Freiheit gebracht. Vielmehr sind sie gezwungen nach dem Rhythmus der Plattform zu leben. Als Reinigungskraft musst du jederzeit verfügbar sein. Von morgens bis abends schickt dir die Firma Jobanfragen via Pushnachrichten oder Mails und rufen dich an. Der Druck seitens der Firma ist enorm gross.»

Unklare Rollenverteilung und ungenügende Arbeitsrechte

Es gibt Firmen, die nur als Vermittlerin zwischen Kunden und Arbeiterinnen fungieren. In diesem Fall entzieht sich die Firma der Verantwortung als Arbeitgeber. «Die Kommunikation mit der Kundschaft läuft aber trotzdem über das Unternehmen, was häufig zu Missverständnissen führt und die Reinigungskräfte in schwierige Situationen versetzt.« So die Doktorandin. Des Weiteren werden Plattformabeiter:innen von der Kundschaft für ihre Arbeit bewertet und von gewissen Firmen sogar über Geotracking «überwacht» - angeblich zur Erfassung der geleisteten Arbeitsstunden. Kollektive Arbeitsrechte haben sie nur, wenn sie bei einem Unternehmen arbeiten, das sich freiwillig dem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterstellt – denn weder der GAV noch das Arbeitsgesetz ist im Privatbereich gültig. Gemeinsam für bessere Bedingungen einzustehen, ist fast unmöglich, denn Plattformarbeiterinnen haben kaum Begegnungsmöglichkeiten und Gewerkschaften ist der Zugang zu Privaträumen verwehrt.

«Die Gesellschaft ist sich der Bedingungen der Reinigungskräfte in Haushalten überhaupt nicht bewusst.»

Marisol Keller, Geografin

Kooperative als soziale Alternative

Angesichts der neuen Herausforderungen der Plattformökonomie haben Kooperativen weltweit erneut an Aufmerksamkeit gewonnen. Die Kooperativen in der heutigen Rechtsform – im deutschen Sprachraum bekannt als Genossenschaften – sind als Folge der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert entstanden. Heute gibt es von New York bis Barcelona Reinigungsarbeiterinnen und Velokuriere, die sich zu Kooperativen zusammengeschlossen haben, um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Als Mitglieder besitzen sie die Kooperative gemeinsam und führen sie in Form von Selbstorganisation. Gleichzeitig sind sie über die Kooperative angestellt, was ihnen rechtliche Vorteile wie einen Anspruch auf Arbeitslosenversicherung verschafft. Das wirtschaftliche Risiko ist unter den Mitgliedern verteilt, ohne dass sie persönlich für das Unternehmen haften. Da der Gewinn nicht an Investor:innen ausgeschüttet, sondern in die Genossenschaft reinvestiert wird, verteilt sich dieser breiter und bleibt in der lokalen Gemeinschaft.

Digital UND gerecht

Damit die Kooperativen im umkämpften Markt bestehen können, entwickeln immer mehr ihre eigene Onlineplattform und werden deshalb Plattformkooperativen genannt. Einfache, repetitive Prozessabläufe wie die Vermittlung der Aufträge oder die Lohnabrechnungen können dadurch automatisiert, und die Personalkosten eingespart werden. Die Onlineplattform wird von den Mitgliedern selbst entwickelt und entspricht demnach ihren Bedürfnissen. Nicht zuletzt garantieren Plattformkooperativen den Datenschutz und schützen somit die Privatsphäre der Nutzer:innen besser.
Plattformkooperativen zeichnen sich durch die Schaffung von qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen und der Förderung von breitenwirksamen und nachhaltigem Wirtschaftswachstum aus. Gleichzeitig leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung der Wirtschaft. Es ist also höchste Zeit für die erste Plattformkooperative in der Reinigungsbranche in Zürich!

Teilnehmerinnen des Gründungskurs von Autonomía.

Mehr Freiheit und Würde für die Arbeiterinnen

Wenn Arbeiter:innen im Besitz der Onlineplattform sind, wird diese von der Ausbeutungsquelle zum Instrument der Ermächtigung. Mithilfe ihrer digitalen Kooperative können sich die Plattformarbeiter:innen gemeinsam ihre Freiheit und Würde zurückerkämpfen. Dies ist auch die Hauptmotivation der Gründerinnen von Autonomìa: Sie wollen sich selbst und weiteren Reinigungsarbeiterinnen bessere materielle Lebensbedingungen schaffen. Wenn Sie noch mehr von der Motivation der Gründerinnen erfahren wollen, kommen Sie am besten zum Gründungsfest am 11. Dezember in Zürich.

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Die Gründungsfeier von AUTONOMIA. Der Abschluss eines aufregenden Jahres